1973





Es gab schon immer Menschen mit Abenteuerlust. Einer von ihnen war Giancarlo Baghetti - ein Mailänder Journalist, Fotograf und ehemaliger Formel1-Pilot . Lange bevor die "Paris-Dakar" erfunden wurde hatte er die Idee, die Strecke vom Nordkap (Norwegen) bis zum Kap der guten Hoffnung in Südafrika auf dem Landweg zu bezwingen. Als kleines Team durch Wüsten, Schlamm, unwegsame Abschnitte, ohne Begleitfahrzeuge oder technischen Support. Und das alles so schnell wie möglich.

Dieser Plan war eine gewaltige Herausforderung. Auch für die erst wenige Monate zuvor neu erschienene Alfetta. Würde ein HighTech-Fahrzeug, konstruiert für das schnelle Fahren auf gut ausgebauten europäischen Straßen auch solche Strapazen aushalten?
Giancarlo Baghetti gewann seinen Freund Gianni Taroni (Renn- und Testfahrer) als zweiten Piloten für das Projekt. Komplettiert wurde das kleine Team durch den Journalisten Fabio Galiani der italienischen Wochenzeitschrift "OGGI".
Dieser berichtete später so über die Entstehung des Projektes:

Eines Tages kam Taroni, den ich von meiner Arbeit wenn wir über Autos geschrieben hatten, bereits kannte, in unsere Redaktion. Er meinte zu mir:
"Baghetti und ich wollen einen wunderbaren Ausflug machen. Hast Du Lust mitzukommen?"
"Was für einen Ausflug?" fragte ich
"ca 30.000km, vom nördlichsten Punkt Europas zum südlichsten Punkt Afrikas."
Eine tolle Idee. Dazu wollte ich jetzt genaueres wissen.
Die erste Entscheidung war, mit welchem Auto wir diesen "Ausflug" machen wollten. Es war eine spontane Entscheidung Baghettis: "Wir nehmen eine Alfetta!"
Ich fragte ihn: "Sind die bei Alfa Romeo damit überhaupt einverstanden?"
"Klar sind die einverstanden. Die sind sogar begeistert!" 



Die drei rechneten damit, die Strecke in etwa einem Monat zu schaffen.
Die 73er Alfetta wurde vorbereitet: Ölwannenschutz, Rammbügel, zusätzlichen Schutz vor dem Staub in der Wüste sowie drei Reserveräder und acht Kanister Benzin. Dazu kamen Ersatzteile, Zubehör und verschiedene Werkzeuge und Lebensmittel für mindestens 15 Tage. Das alles wog 500kg - ohne Crew.



Es konnte losgehen:

Der offizielle Startschuß mit Fototermin vor der Mailänder Scala fiel am 01.Juni 1973



Der Start:

(Der folgende Text stammt als Auszug aus dem Reisebericht von Fabio Galiani. Ich habe ihn ebenso wie die Fotos aus verschiedenen Quellen zusammengetragen und aus dem italienischen übersetzt. Den Beitrag findet man unter: http://it.blog.tarox.com/?p=253 )



Der Balkon in der Arktis.
"Das Nordkap ist ein natürlicher Balkon mit Blick auf das Meer: 300 m Überhang (...) vor uns 1800 km polarer Ozean und dann das ewige Eis". Trotz der Sommersaison zeigt das Thermometer -2°C. "Nordkap ist eigentlich eine Insel: 30 km unbefestigte Straße inmitten einer Landschaft ohne Vegetation bis zur Fähre, die uns auf das Festland bringt (...). " 



"Lappland ist die Wüste Europas, Kilometer und Kilometer in der Öde unter einem milchigen Himmel mit nie untergehender Sonne. Die Straßen sind in einem schlechten Zustand, aber Tausende von Kilometern bis zum Ziel fahren Baghetti und Taroni zu einem atemberaubenden Tempo: Hunderte von Kilometern nie unter 130 km/h." 

In Kautokenio entsteht dieses Bild um 13.30 Uhr. Im Polarsommer will die Sonne nicht wissen, was sie tun soll.



Durch Europa nach Sevilla.
"Von Kautokenio, Lappland nach Sevilla, Spanien, ist die Straße asphaltiert und wir können problemlos fahren. 4 Tage und 3 Nächte brauchen wir für exakt 5738 km.
Der Weg führt uns durch Skandinavien hinunter nach Dänemark, Deutschland, Frankreich und Spanien. Wir bleiben nicht zum Übernachten stehen, die beiden Fahrer können sich hinter dem Lenkrad abwechseln. In Sevilla bleibt etwas Zeit zum Fotografieren, bevor wir die Fähre nach Tanger nehmen." 



Vor den Toren der Wüste.
"Von Spanien nach Tanger, Marokko, geht es auf dem Seeweg. Dann die Straße der alten Kaiserstädte Fez und Meknes. Von Marokko weiter nach Algerien und in den Süden, wo die Landschaft bereits so ist, wie man sich die große Sahara vorstellt. Wir schlafen, wo wir beim Einbruch der Dunkelheit gerade sind. Hotels gibt es schließlich keine." 



"Es gibt immer noch eine Asphaltstraße. Aber die ist oft durch die vom Wind aufgetürmten Dünen unterbrochen. Es ist sehr leicht, stecken zu bleiben oder sich ganz zu verirren." 



Sahara: das Land der Angst.
"In El Golea, 2242 km von Tanger entfernt, vor den Toren der großen Sahara, entdeckten wir, dass wir die Wüste entlang der Tamanrasset - Route Nummer 1 nicht überqueren konnten, weil der Wind diese Passage verhindert.
Uns bleibt nur eine Alternative. Diejenige, die durch das schreckliche Tanezrouft verläuft, das auch das "Land der Angst" genannt wird.
Wir sind in einem Konvoi abgereist. Die Behörden geben und keine Erlaubnis, den Tanezrouft alleine zu durchqueren. Der Asphalt endet in Adrar. Von dieser kleinen Oase liegt 1500 km flache Wüste, in der nicht einmal mehr Skorpione leben. Der Weg wird immer wieder ununterbrochen vom Wind. Hier trifft man nur auf Tierkadaver, die von den LKW-Konvois die im Winter Vieh nach Mali transportieren, hinterlassen worden sind." 



"In der Wüste - wo man sich so leicht verirren kann, ist es nicht ungewöhnlich, die Reste verlassener Autos zu finden.
Die Hitze ist heftig: Die Temperatur, wenn die Sonne hoch steht, erreicht 65 Grad. Die Nacht brachte uns etwas Erfrischung, aber die Themperatur fiel aber nie unter 30 Grad." 



Sahel: das Land der Dürre.
"Vor den Toren der Stadt Gao endet die Sahara in Mali. Nach 12 Tagen erreichen wir die Sahelzone, wo das Leben für die Touareg, die Nomadenbevölkerung zwischen Sahara und Sahelzone, heute wie damals durch die anhaltende Dürre sehr schwierig ist." 



"Der Zustand der Straßen ist weiterhin prekär und es ist nicht selten, daß wir stecken bleiben." 



Wir passieren den Äquator.



"Nach der Wüste folgen 5.000 km unbefestigte Straßen, auf denen sich die Bedingungen ständig ändern. In einem Waldstück in Nigeria ist die Vegetation vollständig in die Strecke vorgedrungen, während die Straßenoberfläche an anderen Stellen wie das Bett eines trockenen Baches aussieht." 



"Die Alfetta, immer überladen, musste die schrecklichsten Tests überstehen. Weil Baghetti und Taroni (...) haben den Fuß nicht vom Gaspedal genommen. Letztlich schaffen wir dennoch nur durchschnittlich 25-30 Kilometer pro Stunde." 

Der Wettlauf gegen den Regen.
"In Dahomay, Niger, Nigeria, Kamerun und Gabun fahren wir durch Wälder, immer im Wettlauf gegen aufziehende starke Regenfälle. Es war ein Rennen mit der Zeit, Regen verfolgte uns. Wenn er uns erreicht hatte, müssen wir anhalten, weil die Hänge des Waldes (...) den Regen zu Strömen werden lies. Niemand kommt da noch durch.
Als wir vor einer überfluteten Straße standen, sprang Gianni Taroni aus dem Auto und suchte den tiefsten Punkt der Furt.

In Afrika haben wir gelernt, dass es in dieser Gegend keine Straßenunterhaltung gibt. Das Unglaublichste daran ist, dass die Alfetta einem solchen "Massaker" widerstanden hat. Wir haben einen zerstörten Stoßdämpfer gegehabt, und dies war auf wundersame Weise das einzige mechanische Problem.

Es ist unnötig zu erwähnen, dass die Alfetta viel Aufmerksamkeit erregt hat: Im Kongo, wo die Ehefrauen (...) für unsere Alfetta verkauft werden, hat man uns 60 angeboten, um aus den besten Mädchen der Gegend zu wählen". 



Im weißen Afrika endlich die Tiere
"In Angola enden die Pisten und wir erreichen wieder asphaltierte Straßen. Endlich können wir einige Tiere fotografieren. Wir hatten schon befürchtet, aus Afrika nach Hause zurückzukehren, und nur Kamele (genauer gesagt Dromedare) gesehen zu haben. Wir ließen die Alfetta mit Zebras laufen. Wir haben zwischen den Löwen geparkt. Wir ritten die Strauße und (...) trafen Affen und Giraffen.
Die Durchquerung Schwarzafrikas war eine recht intensive Erfahrung. Seit wir die asphaltierten Straßen Nordafrikas verlassen hatten, haben wir, bis wir in Luanda in Angola ankamen, 8212 km auf den schrecklichsten Strecken dieser Welt zurückgelegt. Die Sahara, die Savanne, (..) die großen tropischen Wälder. Es gibt keinen Vergleich mit anderen Routen.
Man könnte sagen, dass 8.000 km Schotterweg auf einer Strecke von fast 30.000 km sicherlich keine große Sache sind, aber der Journalist denkt anders und definiert die Erfahrung im Gelände als "Massaker". Baghetti und Taroni (...) sind sicherlich nicht die Typen, die Autos schonen: Wie hätten wir in 29 Tagen mehr als 26.000 km zurücklegen können, einschließlich der Zollbestimmungen von 19 Ländern und der verschiedenen Fähren?" 



Der letzte Schritt in Richtung Südkap
"Auf dem Asphalt Südafrikas rasen wir in Richtung Kapstadt. Und dann die letzte Szene: hinter der Alfetta die beiden Ozeane, der Atlantik und der Indische Ozean. Der afrikanische Kontinent ist vorbei, wir haben das Ende erreicht" 



Und wie am Ende jeder Reise, ist es Zeit für für ein Resüme.
"Was wollen wir mit diesem Raid demonstrieren?
Mit einem Auto wie der Alfetta kommt man überall hin. Sie wurde auf europäischen Straßen geboren, um sich auf diesen Straßen in schnellen Kurven zu bewegen und nicht als Land Rover verwendet zu werden. Trotz aller Schwierigkeiten gelang es ihr, ans Ziel zu gelangen. Ich glaube, dass noch nie jemand ein Auto geschunden und gequält hat, wie Baghetti und Taroni unsere Alfetta....."  
.....schließt der Journalist.

Jeden Moment dachte ich, jetzt ist es vorbei. Aber die Alfetta geht nicht kaputt .

Der Raid in Zahlen:

Zurückgelegte Strecke:
26057 Kilometer
19 Staaten
(Norwegen, Finnland, Schweden, Dänemark, Deutschland,Frankreich, Spanien, Marokko, Algerien, Mali, Niger, Benin, Nigeria, Kamerun, Gabun, Kongo, Angola, Namibia, Südafrika)
Fahrtzeit:
29 Tage 14 Stunden
durchschnittlich pro Tag zurückgelegte Strecke:
880,8 Kilometer
Unterbrechung:
12 Tage (wegen geschlossener Grenzen, bürokratischer und finanzieller Schwierigkeiten)
Verbrauch:
Benzin - 16,29 Liter/100 km
Öl - 0,345 Liter/1000 km
Defekte:
ein defekter Stoßdämpfer, gebrochener Auspuff, beschädigter Kühler, drei Löcher im Reifen und ein Schaden an der Hinterachse;

Der Schaden an der Hinterachse entstand durch die Kollision mit einem Felsen. Eine Aufnahme war verbogen. Die Reparatur gelang mit einem schweren Hammer.

Diese Alfetta befindet sich heute im Fundus des Museo storico in Arese.
Gezeigt wird sie im Buch "Alfavelate" von Gippo Salvetti.



Für das Projekt wurden zwei identische Alfetten aufgebaut und im Frühjahr 1973 aus der Produktion vom Band genommen. Fahrgestellnummer des "Hauptautos" ist AR2027731, die Motornummer lautet 0025440.
Beide waren in der Farbe "azzuro Le Mans" lackiert mit grauer Stoffausstattung.
Sie erhielten noch im Werk die besonderen Spezifikationen für das Projekt:
- zwei zusätzliche elektrische Benzinpumpen (zur mechanischen Serienpumpe)
- veränderter Ventildeckel (zusätzliche Abdeckung)
- Aupuffendrohr nicht wie in der Serie nach unten gebogen
- andere Dämpfer, Federn, zusätzliche Beleuchtung, veränderter Kühler, Hupe, zusätzlicher Ölkühler;
- zusätzlicher Luftfilter
- Pirelli Cinturato all terrain Reifen in 185/HR14
- Rammschutz und Ölwannenschutz

Diese wenigen Änderungen versetzten die Alfetta in die Lage, eine Tortur zu überstehen, bei der so mancher Offroader hätte aufstecken müssen.

Das "Backup-Auto" wurde von den Alfa Romeo Mitarbeitern Battistini und dem Mechaniker Crisafulli gefahren.
In Südafrika wurden die Alfetten zu diversen Presseterminen genutzt. Alfa Romeo betrieb dort ja auch eine Fahrzeugmontage.

Notizen am Rande: Die Fotos des Pressetermins vor der Scala beim Start in Mailand wurden erst veröffentlicht, als gemeldet wurde, die Alfetta ist am Kap der guten Hoffnung angekommen.
Beide Fahrzeuge wurden nach Europa zurückgebracht. Während der Wagen von Baghetti unverändert in den Museumsfundus übernommen wurde, hat man die "Backup-Alfetta" zurückgebaut und als normale Alfetta verkauft. Ihr Verbleib ist unbekannt.
In der Zeitschrift "OGGI" erschienen ab dem 26.07.1973 in fünf Folgen Berichte über dieses Abenteuer.

Und meine ganz persönliche Anmerkung dazu: Diese Jungs sind für mich echte Helden!!!

ciao a presto
Werner

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Im Jahr 2010 erschien begleitend zu den Feierlichkeiten rund um den 100sten Geburtstag Alfa Romeos eine Serie von 80 Modellautos im Maßstab 1:43. Es waren Modelle der herausragenden Fahrzeuge, idR Rennwagen, aus der 100jährigen Historie Alfas. Dazu gab es ein kleines Heft, in dem die Geschichte des jeweiligen Modells vorgestellt wurde.
Herausgegeben wurde die Serie von der "Gazzetta dello Sport" und "Fabbri Editori", und war im Wochenturnus an italienischen Kiosken zu haben.

Die Ausgabe 27 widmete sich dieser besonderen Alfetta mit einem schönen Modell.



Man findet diese Modelle auch heute noch hin und wieder auf Ebay.
Die Edition lief unter der Nummer: ISSN 1824-7717

ciao a presto
Werner

Ein weiteres Modell im Maßstab 1:25 ist schon viel älter.
Es stammt von Mebetoys:



cap
Werner

Diese Fotos habe ich aus einer italienischen FB-Gruppe bekommen. Und möchte ich Euch nicht vorenthalten: